Interview mit Prof. Dr. Theo Dingermann
zu den verschiedenen Therapieformen von Morbus Gaucher
„Herr Prof.Dingermann: Sie sind Pharmazeut am Institut für Pharmazeutische Biologie am Biozentrum in Frankfurt/Main und, wie Sie selbst von sich sagen, ein großer Verfechter, dass Informationen aus der Biologie und Biotechnologie so herunter zu brechen sind, dass auch Laien, in diesem Fall Patienten, es verstehen. Morbus Gaucher Patienten leiden an einer lysosomalen Speichererkrankung. Bei den Betroffenen liegt ein genetisch bedingter Defekt des Enzyms Glukozerebrosidase vor.“
Frage 1: Eine Therapie gibt es seit nahezu 20 Jahren, heute steht eine Auswahl an verschiedenen Therapien zur Verfügung. Wie sind diese pharmakologisch aus Ihrer Sicht zu beurteilen?
Das “Maß aller Dinge” bei der Behandlung des Morbus Gaucher ist heute noch die Substitutionstherapie mit gentechnisch hergestellten Varianten des bei der Betroffenen nicht korrekt funktionierenden Enzyms Glucocerebrosidase. Heute gibt es zwei Produkte: Imiglucerase (Cerezyme®) und Velaglucerase alfa (VPRIV®). Ein drittes Produkt, Taliglucerase (Uplyso®), wurde von der Europäischen Arzneimittelbehörde eher aus formalen Gründen nicht zugelassen. Alle drei Produkte unterscheiden sich ein wenig, aber man kann sagen, dass alle diese gentechnisch hergestellten Medikamente letztlich identisch wirken und ähnlich gut vertragen werden.
Außerdem gibt es mit Miglustat (Zavesca®) und Eliglustat (Cerdelga®) auch oral verfügbare Medikamente. Diese „kleinen synthetischen Moleküle“ hemmen das Enzym Glucocerebrosid-Synthase und verhindert so die Synthese und damit die Anreicherung von Glucocerebrosiden in den Fresszellen des Körpers.
Frage 2: Wenn man nun das fehlende Enzym zuführen will, wie erfolgt die biochemische Aufbereitung, dass der menschliche Organismus dieses letztlich annehmen kann?
Es ist zwar möglich, das fehlende Enzym so zu kopieren, wie es der menschliche Organismus herstellt. Aber dann wirkt es nicht. Das liegt daran, dass beim Gesunden das Enzym in der Zelle arbeitet, in der es auch synthetisiert wurde. Fehlt das Enzym, muss es von außen durch eine Infusion zugeführt werden. Nun muss das Enzym aber noch in die Zellen aufgenommen werden, wo es seinen Job erledigen soll. Damit das klappt, muss man kleine, aber entscheidende Veränderungen vornehmen. Diese betreffen die Zuckerstrukturen, die so typischerweise an diesem Enzym ansynthetisiert sind. Erst dann finden die gentechnisch hergestellten Enzyme ein “Schloss” auf der Zelloberfläche, um sich einen Weg in die Zelle zu bahnen. Allerdings ist dieses Medikament in Europa nicht zugelassen.
Um eine solche Enzymvariante herzustellen, gehen die Firmen unterschiedlich vor:
Bei der Imiglucerase (Cerezyme®) wird die Zuckerstruktur nach der Aufreinigung des Enzyms biochemisch zurechtgestutzt.
Bei der Velaglucerase (Vpriv®) wird dem Kulturmedium, in dem die Zellen wachsen, die das Enzym produzieren, ein Hemmstoff zugesetzt, der dafür sorgt, dass nicht unnötige Zuckermoleküle an die sich aufbauende Zuckerkette angeheftet werden.
Bei der Taliglucerase (Uplyso®) muss weiter nichts gemacht werden, denn die Karottenzellen synthetisieren das Enzym so, dass es in eine Zelle gelangen kann.
Frage 3 . Kommt es nun durch die unterschiedlichen Herstellungsverfahren zu unterschiedlichen „Enzymersatztherapien“ oder, anders formuliert, lässt der Basisträger „Mensch, Tier, Karotte“, wie Sie es in Ihrem Vortrag erläutert haben, Unterschiede hinsichtlich der späteren Wirkung in der Enzymersatztherapie für die Betroffen Morbus Gaucher Patienten erwarten?
Wie bereits betont, sind alle zugelassenen Enzyme wirksam und vergleichbar verträglich. Wäre das nicht so, hätten die Behörden das Präparat nicht für eine Therapie beim Menschen zugelassen.
Frage 4: Wo sehen Sie die Zukunft in der medikamentösen Behandlung von Morbus Gaucher?
Ich denke, dass die Enzymersatztherapie auch in Zukunft eine dominierende Rolle spielen wird. Inwieweit die neuen Produkte, die in Tablettenform eingenommen werden können, was man sich von ihnen erhofft, muss die Zukunft zeigen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie eine Therapie sinnvoll ergänzen können. Vielleicht lassen sich die Intervalle zwischen den Enzymgaben verlängern, Bei einigen Patienten könnte vielleicht auch ganz auf eine Substitutionstherapie verzichtet werden. Als größten Erfolg würde ich es werten, wenn durch diese neuen Medikamente auch Patientinnen und Patienten behandelt werden könnten, wo sich zentrale Ausfallerscheinungen zeigen. Denn kleine syntehtische Moleküle kann man so bauen, dass sie ins Gehirn gelangen. Das geht bei gentechnisch hergestellten Proteinen (noch) nicht.
Danke für das Gespräch
Prof. Dr. rer. nat. Theodor Dingermann
Prof. Dr. rer. nat. Theodor Dingermann studierte Pharmazie in Erlangen. Gentechnologie lernte er nach seiner Promotion während eine zweijährigen Forschungsaufenthaltes in den USA. 1990 erhielt er einen Ruf auf die C4 Professur für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt. Von 2000 bis 2004 war Dingermann Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Ferner war er von 1998 bis 2000 Vize-Präsident der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Dingermann ist Mitglied der Arzneibuchkommission. Er ist Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer und Biotechnologiebeauftragter des Landes Hessen. 2007 erhielt er den 1822-Universitätspreis für exzellente Lehre (Dotierung: 15.000 €) und wurde 2009 zum „Professor des Jahres“ in der Kategorie “Naturwissenschaften/Medizin” gewählt.